Von Patrick Stefan Storch
Verwaltungsgericht Hannover sieht keinen Verstoß gegen § 26 Bundesdatenschutzgesetz
Das Verwaltungsgericht Niedersachsen (Az.: 10 A 6199/20) hat jetzt entschieden, dass die Amazon.com Incorporation in ihrem Logistikzentrum in Winsen weiterhin Handscanner einsetzen darf, mit derer bestimmte Arbeitsschritte innerhalb der jeweiligen Prozesspfade von Warenein- bis Warenausgang erfasst werden.
Dieses Vorgehen ist datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden.
Hintergrund
Amazon betreibt im niedersächsischen Winsen ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Onlineversandhandel. In bestimmten Arbeitsbereichen benutzen die Beschäftigten Handscanner zur Erfassung bestimmter Arbeitsschritte. Parallel hierzu werden Daten mit einer Software ausgewertet, mit denen neben der Steuerung logistischer Prozesse zusätzlich Bewertungsgrundlagen für Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Feedback und Personalentscheidungen gelegt werden.
Gegen diese Vorgehensweise hatte die Landesbeauftragte für Datenschutz Niedersachsen bedenken und leitete gegen Amazon ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren ein mit dem Ergebnis, dass sie die Amazon Inc. mit Bescheid aus dem Oktober 2020 untersagte, aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Leistungsprofilen, Feedbackgespräche und Prozessanalysen zu nutzen.
Rechtliche Positionen der Parteien
Während die Landesbeauftragte für Datenschutz in Niedersachsen den Standpunkt vertritt, dass die ununterbrochene Erhebung der entsprechenden Leistungsdaten der Beschäftigten rechtswidrig sei und gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoße, stützt die Amazon Inc. ihre Argumentation auf ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und -verarbeitung. In der Entscheidung des VG Hannover heißt es:
„So würden aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte bei der Steuerung der Logistikprozesse kurzfristig dazu benötigt, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen reagieren zu können. Anhand der aktuellen Leistungswerte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könne sie erkennen, ob Mitarbeitende an einem bestimmten Tag besonders schnell oder besonders langsam arbeiteten und hierauf durch Umverteilung reagieren. Mittelfristig würden zurückliegende individuelle Leistungswerte benötigt, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zuverlässig zu erfassen und bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Zudem ermögliche diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.“
VG Hannover verhandelt vor Ort und verschafft sich selbst einen Einblick bei Amazon
Das Gericht hat am 9. Februar 2023 in öffentlicher Sitzung im Amazon Logistikzentrum verhandelt und das Fulfillment-Center in Augenschein genommen. Anschließend gab es der Klage des Onlineversandhändlers statt und hob den angefochtenen Bescheid der Landesbeauftragten für Datenschutz auf.
Urteilsgründe
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in Hannover steht der durch die Überwachung der Beschäftigten bedingte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten nicht außer Verhältnis zu den schützenswerten Interessen der Amazon Inc., so dass der Eingriff auch angemessen sei:
„Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse und nach der Befragung der Zeugen – der früheren Betriebsratsvorsitzenden und des jetzigen Betriebsratsvorsitzenden – in der mündlichen Verhandlung geht nach Auffassung des Gerichts eine Abwägung der gegenläufigen Interessen hier zu Gunsten der Klägerin aus. Das Gericht hat dabei unter anderem berücksichtigt, dass keine heimliche Datenerhebung erfolgt, die Beschäftigten die Datenerhebung vielmehr vorhersehen können und wissen, dass die Klägerin die Daten für die logistischen Prozesse benötigt. Zudem finde keine Verhaltenskontrolle statt, die Kommunikation und physische Bewegungen würden nicht erfasst, vielmehr finde „nur“ eine Leistungskontrolle statt. Die Privatsphäre sei nicht betroffen. Außerdem sei der Hauptzweck der Datenerhebung nicht die Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung der Logistikabläufe. Schließlich werde die Möglichkeit objektiven Feedbacks und fairer Personalentscheidungen von vielen Beschäftigten als positive Wirkung der Überwachung gewertet; dies hätten auch die Zeugen bestätigt, die deutlich gemacht hätten, dass die Überwachung kein besonderes Thema im Betrieb sei.“
Das Gericht hat die Berufung zugelassen. Die Landesbeauftragte für Datenschutz Niedersachsen hat die Möglichkeit gegen das Urteil vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg binnen eines Monats nach Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe einzulegen.